Rückenschmerzen
Warum treten Rückenschmerzen auf?
Rückenschmerzen sind häufig. Fast jeder kennt sie und viele Arztbesuche in Deutschland sind auf Rückenschmerzen zurückzuführen. Die Ursachen sind vielfältig. Meistens spiegeln Rückenschmerzen eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität wieder. Wir fordern von unserem Rücken Leistungen ab, denen er aufgrund unseres Trainingszustands nicht gewachsen ist. Unser Rücken ist für Bewegung (z.B. laufen, rennen, klettern) ausgelegt, wir aber verlangen vorwiegend statische Leistungen (z.B. sitzen, stehen, Zwangshaltungen). Wir sitzen im Alltag im Büro, wollen aber im Urlaub wandern. Unsere Leistungsfähigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab (ca. ab dem dreißigsten Lebensjahr), wir fordern jedoch ohne zusätzliches Training die gleiche Leistung. Hinzu kommt, dass sich Emotionen (Angst, Stimmung, Freude) und Stress am Rücken durch eine erhöhte Muskelspannung widerspiegeln.
Rückenschmerzen sind somit ein Spiegel unserer Lebensrealitäten. Sie sind mit seltenen Ausnahmen nicht gefährlich, immer lästig und zeigen uns, dass wir etwas anders machen sollten.
Woher kommen Rückenschmerzen?
Die meisten Schmerzen kommen aus der Muskulatur (myofasziale Schmerzen). Die geforderte Leistung (Anspruch) kann durch die vorhandene Muskulatur (Wirklichkeit) nicht erbracht werden. Ein überforderter Muskel reagiert immer gleich. Es kommt zu einer erhöhten Spannung (gesamter Muskel = Muskelverspannung; einzelne Muskelfasern = Triggerpunkte). Durch die erhöhte Muskelspannung wird die Durchblutung des Muskels vermindert, was letztlich die Schmerzen auslöst. Zusätzlich kommt es durch dauerhaften Muskelzug (Verspannung heißt auch, der Muskel ist kürzer als normal) zur Überlastung von Sehnen und Sehnen-Knochenübergängen (Insertionstendopathien). Muskeln schmerzen nicht nur lokal, sondern können auch Schmerzen an entfernten Orten auslösen (Schmerzausstrahlung).
Alle, die nicht glauben, dass Muskeln so starke Schmerzen verursachen können, sollten sich klar machen, dass der Schmerz bei einem Herzinfarkt auch durch einen schlecht durchbluteten Muskel (Herzmuskel) ausgelöst wird.
Ursächlich für die Fehlbelastung der Muskulatur sind ein schlechter Trainingszustand der Muskulatur, nicht optimale Bewegungsabläufe oder ein Ungleichgewicht (Dysbalance) zwischen stabilisierender und bewegender Muskulatur. Zu einer Überlastung der Muskulatur kommt es auch durch eine dauerhafte Anspannung z.B. bei Stress, einer verminderten Entspannungsfähigkeit oder bei Angst (psychophysische Daueranspannung).
Koordinationsstörungen und eine Schwäche der stabilisierenden Muskeln führen zu typischen Fehlhaltungen (z.B. Kopf und Schultern werden nach vorn gezogen, Hohlkreuz, Becken nach vorn gekippt) und damit zu Fehlbelastungen in Wirbelsäule und Gelenken. Typische Folgen sind schmerzhafte Blockierungen (z.B. Blockierungen der Kopfgelenke oder des Iliosakralgelenks, Rippenblockierungen) und langfristig auch degenerative Veränderungen oder Überlastungen (Bandscheibenschäden, Osteochondrose, Arthosen der Zwischenwirbelgelenke). Diese degenerativen Veränderungen sind in der Regel nicht schmerzhaft und treten mit zunehmendem Alter häufiger auf. In nur 5-10% der Fälle sind die degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule die Ursache für Rückenschmerzen (spezifischer Rückenschmerz), in der Regel sind sie Zufallsbefunde in Röntgen- oder MRT-Bildern.
Was heißt chronischer Rückenschmerz?
Chronischer und akuter Rückenschmerz werden anhand des zeitlichen Ablaufes unterschieden. Bis zu 6 Wochen spricht man von einem akuten, danach von einem chronischen Rückenschmerz. Die Übergänge sind fließend. Des Weiteren bezeichnet man wiederholte Rückenschmerzepisoden (3x/Jahr oder Schmerzen in 3 aufeinander folgenden Jahren) als chronischen Rückenschmerz.
Bei akuten Rückenschmerzen kann man oft noch eine klare Beziehung zwischen einzelnen verursachenden Befunden (z.B. Triggerpunkte der Muskulatur) und den Schmerzen finden.
Bei chronischen Rückenschmerzen gibt es eine solche klare Ursachen-Wirkungsbeziehung nicht. Zwar gibt es oft einen klaren Auslöser („ich habe mich verhoben“), aber der Schmerz ist in der Regel auf eine Mischung von verschiedenen Befunden zurückzuführen, z.B. eine hohe Muskelspannung durch Stress kombiniert mit einer schlechten muskulären Stabilisierung der Wirbelsäule und einer Überlastung der Zwischenwirbelgelenke. Hinzu kommen Veränderungen in der Verarbeitung von Schmerzreizen in unserem Gehirn (Schmerzgedächtnis).
Welche Diagnostik ist bei Rückenschmerzen sinnvoll?
So wie beim Schnupfen ist in den meisten Fällen keine Diagnostik notwendig.
Falls doch, sind die wichtigsten Maßnahmen das ärztliche Gespräch und die klinische Untersuchung. Hier werden die Weichen gestellt, ob eine weitere Diagnostik (multimodale interdisziplinäre Diagnostik, MRT, Röntgen etc.) notwendig ist.
Röntgen oder MRT-Bilder, die ohne eine gute ärztliche Untersuchung durchgeführt werden („um mal nachzusehen“, „nur um sicherzugehen“), sind nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich. Unnötige Bilder sind Mitursache für chronische Rückenschmerzen und führen oft zu nicht notwendigen, potentiell schädlichen, diagnostischen und therapeutischen Interventionen!
Chronische Rückenschmerzen haben vielfältige Ursachen. Oft erscheint ein einzelner Befund unbedeutend, aber im Zusammenspiel mit anderen Faktoren gewinnt er an Bedeutung für den Rückenschmerz („die Mischung macht’s“). Bei chronischen Rückenschmerzen ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mehrerer Berufsgruppen, Ärzte, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten und Trainingstherapeuten, erforderlich. Multimodale Diagnostik, das Zusammenführen der Befunde und die gemeinsame Bewertung im Team sind die Voraussetzungen für die Diagnosefindung und Therapieplanung. Eine multimodale interdisziplinäre Diagnostik wird in speziellen Therapiezentren (z.B. Rückenzentren) durchgeführt.
Wann muss ich zum Arzt?
Taubheitsgefühle, Lähmungen, Störungen beim Stuhlgang und Wasserlassen sollten immer ärztlich abgeklärt werden. Auch Symptome wie Gewichtsverlust, ungeklärte erhöhte Temperatur, Schmerzen insbesondere in der Nacht bedürfen einer weiteren ärztlichen Diagnostik. Besteht der Schmerz länger als 6 Wochen oder kommt es zu häufigen Rückenschmerzen (mehr als 3x pro Jahr oder 1-2x pro Jahr über einen Zeitraum von 3 Jahren), sollten Sie einen Arzt aufsuchen.
Wer behandelt Rückenschmerzen?
Angebote gegen Rückenschmerzen sind vielfältig und unübersichtlich. Ärzte, Heilpraktiker, Physiotherapeuten, Osteopathen, QiGong, TaiChi, Yoga, Neuraltherapie etc., einige Angebote sind nicht seriös, viele wissenschaftlich in ihrer Wirkung nicht bestätigt und oft findet man nicht einlösbare Heilversprechen.
Die Frage, wer seriös behandelt, lässt sich nicht einfach beantworten. In der Regel sind Heilversprechen problematisch und sollten hinterfragt werden. Auch einer Festlegung auf einzelne Verfahren (z.B. Spritzen und Katheter, craniosacrale Therapie) sollte mit Vorsicht begegnet werden.
Eine ausführliche Befragung (Anamnese) und eine gute körperliche Untersuchung sollten die Grundlage für die weitere Diagnostik und Behandlung sein und sind ein Hinweis auf ein seriöses Vorgehen. Der erste therapeutische Schritt ist immer eine ausführliche Beratung und die Abwägung therapeutischer Möglichkeiten. Erst dann kann sich ein Patient aufgeklärt und bewusst für seinen Weg entscheiden. Ist man sich unsicher, immer eine zweite Meinung einholen!
Welche Therapien sind bei Rückenschmerzen sinnvoll?
Spritze, Tablette und Ruhe waren die klassischen Therapien bei Rückenschmerzen. Wenn das nicht half, konnte immer noch operiert werden. Auch heute ist diese Strategie noch weit verbreitet. Hilfreich ist sie hingegen nicht und häufig ein effektiver Weg, Rückenschmerzen chronisch werden zu lassen.
Bei einem akuten Rückenschmerz reichen in der Regel ein aktiver Umgang (in Bewegung bleiben, kurze Ruhephasen), ggf. ein einfaches Schmerzmittel und Wärme aus, um die Schmerzen rasch zu lindern. Es hilft, den akuten Schmerz als Hinweis z.B. auf einen reduzierten Trainingszustand oder eine erhöhte Stressbelastung zu verstehen und dem entgegenzuwirken. Der Rücken muss belastet werden, um gesund zu bleiben oder zu werden, Entlastung führt auf Dauer zu mehr Schmerzen und Problemen.
Sind schmerzhafte Funktionsstörungen des Bewegungssystems für die akuten Schmerzen verantwortlich, können diese durch manualmedizinische, osteopathische oder physiotherapeutische Behandlungen angegangen werden. Noch einfacher und schneller ist es, sich durch Selbstmobilisationen selber zu behandeln (schmerztherapeutischer Notfallkoffer). Ein regelmäßiges Übungsprogramm hilft die Rückkehr dieser schmerzhaften Befunde zu verhindern.
Chronische Schmerzen bedürfen einer differenzierten Strategie. Diese sollte auf Grundlage einer multimodalen interdisziplinären Diagnostik festgelegt werden. Oft ist eine multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie, das heißt eine Behandlung durch ein Team aus Ärzten, Psychotherapeuten, Physio- und Trainingstherapeuten und die Anwendung verschiedener Therapiemodule wie Information, Training, Physiotherapie, ärztliche und psychotherapeutische Behandlungen erforderlich, um erfolgreich zu sein. Entscheidend ist, was ein Patient in seinem Alltag anders macht. Der Schmerz kann sich nur ändern, wenn im Alltag etwas anders gemacht wird (z.B. mehr Training, Pausen einhalten).
Welche Bedeutung haben Spritzen und Operationen?
In den meisten Fällen von akuten und chronischen Rückenschmerzen sind weder Spritzen noch Operationen sinnvoll oder notwendig.
In vielen wissenschaftlichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Spritzen nicht zu einer langfristigen Verbesserung von Rückenschmerzen führen. Durch kurzfristige Effekte sind sie jedoch weiterhin bei Ärzten und Patienten sehr beliebt. Manchmal kann es hilfreich sein, einem Patienten mit einer Spritze eine verbesserte (kurzfristige) Trainierbarkeit zu ermöglichen. Wichtig ist es, die medizinischen Risiken (z.B. Infektionen) gegen den potentiellen Nutzen abzuwägen und zu beachten, dass ein beträchtlicher Teil der Wirkung auf dem Placebo-Effekt (Scheinwirkung, ca. 50-80%) beruht. Wiederholte und regelmäßige Injektionen sind medizinisch nie sinnvoll.
Gründe zum Operieren liegen in zwei Fällen vor:
- Sind Nerven durch strukturelle Befunde (z.B. einen Bandscheibenvorfall) geschädigt, kann durch eine Operation eine schnelle Entlastung und damit Erholung der betroffenen Nerven erreicht werden. Dabei ist der Rückenschmerz nicht das therapeutische Ziel der Operation, sondern die Rettung des Nervs. Der Rückenschmerz bleibt oft erhalten oder kann durch die Schädigung der lokalen Muskulatur vermehrt werden.
- Der zweite Grund für eine Operation ist eine segmentale Instabilität der Wirbelsäule. In der Regel sollte die Wirbelsäule durch die Eigenmuskulatur ausreichend stabilisiert werden. Reicht ein intensives, kontinuierliches und konsequentes Training nicht aus, um eine ausreichende Stabilität zu gewährleisten, kann ein Wirbelsäulensegment operativ stabilisiert werden (Spondylodese). Das ist nur die zweitbeste Option! Das Training muss nach der Operation fortgesetzt werden, um die Stabilität der anderen Wirbelsäulenabschnitte zu erhalten und zu verbessern.